In der konzertanten Aufführungspremiere „Brecht. Laotse.Flucht“ rezitierte Thieme nicht nur Brechts Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“, sondern kombinierte sie mit Aphorismen aus jenem Taoteking (ca. 6. Jh. v. Chr.), während Sohn Arthur auf der E-Gitarre als Soundtrack eigene Vertonungen diverser Brecht-Gedichte beisteuerte.
Es ist als konzentrierten sich aktuelle Fluchtlinien auf einen Punkt: den zeitlosen Irrsinn missbrauchter Macht. Das von Arthur Thieme intonierte „Lied des Wasserverkäufers im Regen“ über Not und Pech kleiner Leute lenkt kontrapunktisch den Blick auf deren Opfer. Danach Thomas Thieme schicksalsschwer: „Die Tüchtigen nicht bevorzugen, Kostbarkeiten nicht schätzen, nichts Begehrenswertes zeigen, macht, dass das Volk nicht streitet, stiehlt oder wirr wird“.
Arthur Thieme interpunktiert dazu mittels Plektron-Tupfer die Lakonie radikaler Uralt-Weisheiten.
Dann Brechts Laotse-Text: „Als er siebzig war und war gebrechlich / drängte es den Lehrer doch nach Ruh / denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich / und die Bosheit nahm an Kräften zu“. Kaum waren Original und (Ver-)Dichtung präsent, fiel auf die (Menschheits-)Geschichte der Schatten von Willkür und Herrschaft, neigte sich Thiemes Diktion einem Abgesang auf Vernunft hin und zugleich der Mahnung zu. Die Dringlichkeit Laotses humanistischer Entsagungsphilosophie gewann durch fast zu Wehmut tendierende, stimmliche Nuancen unabweisbare Authentizität, zumal der Schauspieler eine bitter-ernste Miene übers Publikum schweifen ließ.
Gerade Thomas Thiemes sprachlicher wie gestischer Minimalismus verlieh ihm die Autorität eines poetischen „elder statesman“, der ohne dramatische Attitüde Laotses Deutung vom Drama der sich selbst verkennenden Macht als Tragödie des Volkes vor Augen und Ohren führte: „Denn das Volk ist schwer zu leiten – das liegt daran, dass es viel weiß“. Sprachlos ließen Thieme, Brecht und Laotse das Publikum zurück: Wir wissen alles – aber es hilft uns nichts.